
China – Eine Woche Beijing und Terracotta Armee
Es kommt uns beiden komisch vor. Wir haben seit Jahren keinen Koffer mehr zum Verreisen genommen Unsere Ziele hatten nicht selten nur unbefestigte holprige Straßen. Ein Trolly? Undenkbar. Der ganze Trip ist für uns ungewohnt. Vorgeplant. Festgelegtes Programm. Keine Ausweichmöglichkeiten. Und 58 weitere Teilnehmer. Mein persönlicher Alptraum.
Kofferurlaub – nichts für mich!
Drei Monate später schiebe ich einen unhandlichen Hartschalenkoffer zum Gate entlang. Zielort Peking. 8 Grad Celsius. Mein erster Urlaub mit Jacke. Optimistisch hoffend habe ich die Sonnenbrille trotzdem eingepackt. Reiß dich zusammen, Kerrilotta! Gib dem Ganzen eine Chance; es wird bestimmt schön, du musst nur daran glauben! Es muss toll sein, sich mal um nichts zu kümmern, wenn schon alles für einen organisiert ist. Wir geben die Buchungsnummer am Bahnautomaten ein. Es ist kein Ticket für die Bahn zum Flughafen auf meinen Namen gebucht. Wozu eine Reiseagentur, wenn sie dann nicht buchen? Erster Beweis, es doch besser selbst in die Hand zu nehmen. Wir müssen 61 € vorstrecken. Die Fahrt ist ruhig und angenehm. Check-in ist in der B-Halle. Alles wirkt kleiner als bei den bekannten großen Airlines. Am Schalter suche ich nach den verräterischen roten Handgepäck-Anhängern, die der Reiseveranstalter zur Kennzeichnung der Gepäckstücke versendet hat, um ein paar der Menschen zu sehen, mit denen ich jetzt für 12 Tage eine Zwangsgemeinschaft bilden werde. Wir selbst bleiben inkognito. Die Anhänger sind nur am Koffer, nicht am Handgepäck. Die erste Teilnehmerin habe ich gesichtet. Sie macht seit gut 20 Minuten ausgiebige Fußgymnastik und Beinschütteln. Ein zerstreut wirkender Professor, haarzerzaust mit Strohhut und vollem Outdoor Outfit hat ebenfalls das verräterische rote Anhängerteil am vergilbten Baumwoll-Rucksack baumeln. Rein in den Flieger, essen, schlafen. China wir kommen.
Am nächsten Tag treffen wir am Flughafen in Beijing unsere Reiseleiterin, Frau Nie. “Hallihallo“, sagt sie. “Ni hao”, bringt sie uns bei. Das heißt Guten Tag. Eine ältere Chinesin steht neben mir, ich lächle sie an. Sie furzt. Danach spukt sie neben mir auf den Boden. Chinesischer Stil, ganz normal hier. Ich versuche es als normale Sitte innerlich abzuarbeiten. Neben mir steht ein Mann, auf dessen Jacke eine Ziege und das Wort Geißenstall aufgestickt sind. Er hat bereits einen Glimmstengel im Mund, den er mit einem Zug abzurauchen versucht. So ein Langstrecken-Flug gleicht einem harten Entzugsprogramm. Zwei identisch gekleidete erwachsene Frauen lächeln mir freundlich zu. Ein lesbisches Paar oder Schwestern? Ich bin noch nicht sicher. Zwillingslook über 17 Jahre hinaus erscheint mir zweifelhaft. Im Bus erklärt uns Frau Nie, dass die Zimmer im Hotel noch nicht beziehbar sind “Daas is soo” und fährt uns zuerst in ein Museum, die Beijing Planning Exhibition Hall, um die Geschichte und den Aufbau Pekings zu verdeutlichen. Der erste Blick auf Peking durch ein Busfenster ist eher trostlos, endlose gerade Straßen, jedes Grün erscheint grau und meterhohe Leuchtreklametafeln zieren die Hochhausbauten, die in einer matten Abgaswolke verschwinden. Frau Nie holt die Eintrittskarten und fragt nach den drei Personen, die das Museum nicht im Voraus gebucht haben. Als Antwort nur Stille. Erst als sie jeden einzeln fragt, finden sich die Trittbrettfahrer. 4€ Eintritt, wie peinlich, es auch nur zu versuchen. Peking nennt sich auch “bei jing” – nördliche Hauptstadt. Wir lernen die Stadtteile kennen, sehen die Lage der Altstadt und des Olympiastadions, auch genannt Vogelnest, wegen seines nestartigen Äußeren.
Ich finde schnell eine neue Freundin. Wenn ich vor einem Motiv knie oder den passenden Moment zum Abdrücken suche, stellt sich diese Dame direkt vor mich und fotografiert selbst. Als ich mal wieder am Boden hocke und warte bis sie fertig ist, spricht sie mich an: “Knipsen Sie auch?” Nein, denke ich mir ironischerweise. Wie kommt sie denn auf so etwas? Aber ich nicke ihr nur lächelnd zu. Ich kassiere ein “Na dann hopp mal!” und bleibe verdattert zurück. Ab sofort verhalte ich mich antizyklisch zur Reisegruppe. So schnappe ich zwar immer nur Bruchstücke von Frau Nie´s Schilderungen auf “dann waren alle tausende Personen gestorben. Schaade. Soo is daas”, aber die zusätzlichen Details lese ich einfach im Anschluss im Reiseführer nach. Wir fahren ins Hotel. Frau Nie will uns 2 Stunden Ruhe gönnen, damit wir “wieder rischtig im Kopf sind”. Ich bezweifle, dass diese Zeit für alle ausreichend sein wird und mache mich auf den Weg zur Dusche. Das Hotelzimmer ist in Ordnung, nicht besonders schön, aber sauber. Abendessen im nahegelegenen China Restaurant. Im linken Fenster hängen zahlreiche nackte Enten am Hals aufgehängt an der Decke baumelnd. Den Eingang zieren kitschige bunte Lichterketten. Eine Dame neben mir erzählt, dass Sie zu Hause extra mal Chinesisch essen war, um zu wissen, was die da so essen. Ich bin erstaunt. Frau Nie sammelt das Geld zum Essen ein. 100 Yuán pro Person. Sie kontrolliert ihre Endsumme und stellt fest, dass 100 fehlen. Sie fragt mehrfach nach. Ich habe es gesehen, der Professor mit Strohhut ist seinen Teil schuldig geblieben. Er stellt sich taub. Peinliche Stille am Tisch. Alle haben es gesehen, aber keiner traut sich etwas zu sagen. Frau Nie fragt nun wieder jeden einzeln. Wenigstens wird nicht gelogen; sie erleichtert den Strohhut um weitere 100 Yuán. Jetzt kann es losgehen. Essen in Hülle und Fülle.
Alles wird in der Mitte auf einer Drehplatte aufgebaut, jeder greift zu. Nur die Stäbchen hindern uns Ausgehungerte am Schlingen und wir müssen uns mit den kleinen Stücken begnügen, die wir bis zur Mundöffnung balanciert bekommen. Danach holen uns die Müdigkeit und der Jetlag ein und wir schlafen, ohne uns an dem lauten Gehuste und Rotzen des Nachbarzimmers zu stören.
7 Uhr Weckruf.
Das Frühstücksbüffet lässt keine Wünsche offen. Aus dem Fenster sehe ich drei weiße Kaninchen hüpfen. Hoffentlich landen sie nicht im Kochtopf. 8.30 Uhr Abfahrt mit dem Bus. Ich bin verunsichert, ob ich die gleiche geplante Stadtbesichtigung habe, wie die anderen. Ausgerüstet mit Thermojacken und Wanderschuhen kommt es mir vor, als Stünde noch eine Bergbesteigung auf dem Tagespunkt. Im Bus wird der Ablauf mitgeteilt. Frau Nie zeigt uns ein blaues Tuch am Stab, danach werden wir uns immer richten. Immer der blauen Fahne nach. Sie fragt ab, wer Lust zum Ente essen hat am letzten Tag. Zeitlich wäre es kein Problem, das reiche sehr gut. “Sie dann eh gehen morgens Check aus im Hotel”. “Was? Wir müssen morgen auschecken?” Empörung im Bus. Frau Nie erklärt nochmal durchs Mikrofon. Ankunft am Himmelstempel. Frau Nie beschreibt uns die Architektur. Ein paar Unaufmerksame Tuscheln. Die werden mit einer Handgeste und dem Aufruf “Flüsterfuchs” von einer pensionierten Lehrerin zum Schweigen gebracht. Wir folgen dem blauen Tuch von Frau Nie. Darauf sind Kühe abgebildet. Wie passend, die Herde trabt hinterher. Die zweite Reiseführerin hat Fische als Zeichen. Wir gehen durch einen begrünten Park und sehen unterschiedliche Gruppen, die Sport oder anderes im Park betreiben. Tänzer, Akrobaten der Schwertkunst, Meditationen, eine chinesische Form von Aerobic.
Die unterschiedlich scheppernden Kassettenrekorder stören einander nicht, sondern mischen sich mit den Rufen und Anweisungen der Lehrer in eine angenehme Frühlingsatmosphäre. Wir besichtigen den Himmelsaltar und genießen die Sonnenstrahlen, die uns trotz der eisigen Temperaturen verwöhnen. Alle Tempeltüren haben hohe Schwellen, da im Glauben die Dämonen diese nicht übertreten konnten.
Zudem wurde alles rund gebaut, da die Dämonen nur geradeaus gehen konnte. So wurde architektonisch das Böse ferngehalten. Wir gehen immer hinter unserer Kuhfahne her. Uns hat es gut erwischt, ich sehe viele Reisegruppen, die sich durch eine Kappe kennzeichnen müssen. Orangefarbene Safarihüte, blaue Kappen, große Ansteckpins, es ist alles dabei. Der Sommerpalast liegt an einem schönen See. Wir spazieren entlang und genießen es. Wäre nicht die dicke versmogte Luft, könnte man fast glauben, man wäre nicht inmitten einer Millionenmetropole.
Der Bus fährt zu einer Seidenfabrik. Ich fühle mich wie bei einer Kaffeefahrt. Zuerst die ausführliche Erklärung über die Entstehung und Verarbeitung von Seide. Wie die Larven gekocht werden, wie der Anfangsfaden gefunden wird und wie man die Seidenfäden dann verarbeitet. Dann werden wir in eine riesige Verkaufshalle geführt. Wir gehen direkt weiter bis zum Ausgang. Ein paar Damen kommen mit Tüten beladen aus der Seidenfabrik und schimpfen lauthals. “Abzocke“, “ich beschwer mich beim Reiseveranstalter”. So etwas finden sie “geradezu untragbar”, wenn die Touristen für “so dumm verkauft werden”. Ich bemerke, dass sie die einzigen mit Tüten aus unserer Gruppe sind. Alle anderen haben nichts gekauft, sich aber auch nicht geärgert.
Heute Tag zur freien Verfügung. Die Gruppe macht eine Fachexkursion. Wir gehen in den Zoo. Erstes Abenteuer Pekinger U-Bahn. Wir machen es den Einheimischen nach und quetschen uns rücksichtslos mit rein. Nach vier Stationen werden zwei Sitzplätze frei. Als eine Frau mit einem alten Herrn naht, stehen wir auf und bieten den Platz an, beide sind außer sich vor Freude und bedanken sich mehrfach bei uns.
Am Zoo angekommen warte ich auf die Tickets. Ein Junge spricht mich an:” I must say. Your earrings are very nice.” Ob mich dafür in Deutschland auch die Herren ansprechen würden? Sicher nicht. Der Zoo ist ernüchternd. Die Gehege sind klein, trostlos und dreckig. Nur die Parkanlage dazwischen sind nett aus. Ein Chinese spukt vor mir auf den Boden, er hat meine Schuhe nur knapp verfehlt. Die Tiere liegen apathisch und mit schmutzigem mattem Fell in den Ecken. Dieser Anblick macht uns traurig und wir brechen den Besuch ab und gehen ins nahe gelegene Fischaquarium. Hier sieht es etwas besser aus, die Becken haben annähernd passende Größen und die Fischwelt sieht halbwegs gesund aus. Ich entdecke die erste offene Kinderhose; von vielen im Bus bereits erwähnt, sehe ich es nun mit eigenen Augen. Die Hose ist von hinten bis vorne im Schritt offen, das Kind trägt keine Windel und kann so jederzeit und an jedem Ort sein “Geschäft” machen. Eine geniale Erfindung zum schnellen Trockenwerden? Ein Beitrag zum Umweltschutz im Kampf um die Windelmüllberge? Oder einfach nur ein bisschen eklig? An der “Schnellschusshose” scheiden sich die Meinungen. Meine ist: Definitiv etwas eklig.
Danach ein weiteres Metro Abenteuer, die Bahn wirkt immer voller. Wie mag das nur zur Rush Hour sein? Stapeln sich die Menschen da übereinander? Wir helfen zwei bereits angenervt nervösen Österreichern, ein Ticket zu kaufen und zwängen uns dann zwischen die rotzenden Bauarbeiter im Wagon Richtung Heimat Hotel. Wir beschließen, die letzte Station zu Fuß nach Hause zu gehen und noch ein wenig die Gegend zu erkunden.
In verwinkelten Gassen finden wir Essensstände mit gebratenen Maden, Schlangenstücken und kleinen Seepferdchen. Aber wir sind nicht hungrig. Noch weniger sogar, als wir die sich noch bewegenden Glieder der auf dem Holzspieß steckenden Skorpione erblicken.
Danach noch Bummel auf der großen Einkaufsstraße zurück zum Hotel. Stand an Stand vollbepackt mit chinesischem Krimskrams. Buddha Statuen, Yin und Yang Zeichen, Lampions und Plastikschmuck. Ich frage mich, wer bei diesem Kitsch zugreift. Nur mühsam entkommen wir ohne Einkauf den schreienden und am Arm packenden Markthändlern. Wir kommen am Hotel an. Gegenüber leuchtet das altbekannte westliche “M” in gelber Leuchtschrift am Gebäude und lockt uns zu sich. Wir gönnen uns ein paar Pommes, als Alternative zu Schlangen und Skorpionen, wenigstens nicht eklig. Weit gefehlt. Während der chinesische Mc Donald´s Mitarbeiter mit der rechten Hand unsere Pommes in die Tüte fischt, bohrt er mit dem linken Zeigefinger bis zum Anschlag in seiner Nase. Als er die zweite Portion aufnehmen möchte, kann er sich nicht so recht entscheiden, ob er die erste Pommestüte aus der Hand legen will. Er behält sie und fischt mit dem Popelfinger die zweite Portion auf unser Tablett. Als ich das Tablett entgegen nehme, sehe ich sein Namensschild. Es handelt sich sogar um den Filialleiter. Die popelverseuchten Fritten bleiben traurig auf ihrem Tablett zurück, irgendwie ist uns darauf der Appetit vergangen. Auf den letzten Metern zum Hotel entdecke ich noch eine nette Erfindung, die mir zu Hause für meine Vespa gut gefallen würde: Montierte Handwärmer am Lenkrad. Danach werde ich zuhause mal suchen …
Großer Kampf um einen Sitzplatz am Frühstückstisch. So fängt der Morgen viel zu stressig an. Wir fragen eine Dame vom Titisee, wie denn der Besuch im Olympiastadion, dem sogenannten Vogelnest, gestern war. Sie rollt mit den Augen und mault sofort laut los, dass wir nichts verpasst hätten, denn sie hätte dort “keinen einzigen scheiß Vogel gesehen” …
Ein Unfall. Eine ältere Dame ist gestürzt. Ihre Nase blutet und ihr Fuß schwillt stark an. Ein Polizist und ein anderer Uniformierter eilen zur Stelle und aus dem Nichts taucht ein Rollstuhl auf. Die Dame verweigert in der in diesem Alter bekannten sturen Kämpfernatur den Gang zum Arzt und will mit uns den Tempel besichtigen. Der Geißenpeter bietet sich zum Schieben an. Führung durch den Platz des himmlischen Friedens und den Kaiserpalast. Die Vogelsucherin verkleidet sich als Chinesin. Ich selbst werde Fotomodell für chinesische und japanische Touristen. Die verbotene Stadt ist atemberaubend. Frau Nie schildert die Geschichte der kaiserlichen Heerschar detailliert und spannend. Wir besichtigen die Halle der höchsten Harmonie, die Halle der großen Harmonie und die Halle der inneren Harmonie, welche die Toilette war.
Ein netter Ausdruck, passt er eigentlich so wenig zu den Räumen, in denen man sich in China wiederfinden muss. Die Wände einer öffentlichen Toilette sind so nieder, dass man seinem Nachbarn zuschauen kann, teilweise gibt es keine Türen und während die eine noch über dem Loch hängt, drängeln die nächsten davor schon zur Eile an. Schnell hat man gelernt, dass man das Toilettenpapier am Eingang bereits hätte abreißen müssen, wenn es denn nun überhaupt welches gibt. Über den grässlichen Gestank kaum hinwegzugehen – ich atme stets in meinen Ärmel, um aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. So fortschrittlich China auch sein mag, die Toilettenanlagen, selbst in neu gebauten schicken Kaufhäusern, ähneln mittelalterlichen Donnerbalken.
Wir lernen viel über die chinesischen Symbole und die Bedeutung der Farben. Grau war für das Volk, blau bedeutete den Himmel, gelb war dem Kaiser vorbehalten. Mein kleiner Kaiser hat gelbe Turnschuhe an, ich muss schmunzeln. Im Anschluss Kaffeefahrt in eine Süßwasser-Perlen Fabrik. Ich sterbe vor Hunger. Es gibt eine Banane. Mein Magen knurrt weiter. Zurück in die Altstadt. Wir machen eine Rikscha Fahrt durch die letzten Teile der alten Stadt.
Hier wohnen noch viele Menschen, es ist sehr karg und schmutzig. Alle Bewohner haben keine Toiletten und müssen immer zu den öffentlichen Plätzen in der Stadt, dies ist besonders für ältere Menschen sehr unbequem. Die junge Generation versucht, aus diesem alten Teil in die neuen Teile der Stadt auszuwandern. Wir sehen alte Herren auf Mülltonnen Karten spielen. Die Kinder laufen uns nach und winken uns zu. Manche rufen “Hello”. Es ist ein eisiger Wind in den Gassen, passend zum eisigen Leben, das man hier hat. Wir parken an einer Straße und gehen zu Fuß weiter. Wir besichtigen eine Apotheke. Hier sitzen zahlreiche Ärzte, man kann sich sogar gleich hier behandeln lassen. Frau Nie zeigt uns teure Ginseng Wurzeln, die man kaufen kann. Ein tibetanischer Wurm sorgt ebenfalls für Gesundheit und wird abgewogen verkauft. Wir gehen weiter in ein Schuhgeschäft, das von Hand bestickte Seidenpantoffel fertigt. Ich wage mich an eine der zuckrig überzogenen Früchte, die an jedem Stand verkauft werden. Ein saures Inneres ergibt mit dem klebrigen Zucker eine interessante Mischung ab.
Weiter geht’s zurück zum Hotel. Zwei Stunden später sind wir da. Wir verabreden uns zum Abendessen. Wir haben im Reiseführer einen interessanten Tipp gelesen. Restaurant Da Dong, die anscheinend beste Pekingente in der Stadt. Wir lassen uns an den großen weißen Tischen nieder und studieren die hundertseitige Speisekarte. Die Preise ignorieren wir bewusst und bestellen verschiedene Gerichte. Bei einem besonders schönen Foto können wir das Fleisch nicht zuordnen. Wir hoffen, dass es sich nicht um Hund handelt. Wir fragen auf englisch nach, ob es sich um ein Rind oder Schwein handelt. Man versteht uns nicht. Unsere Begleiterinnen wollen es aufmalen, doch man versteht sie erneut nicht. Sie muhen und bellen. Ich lächle gezwungen. Man versteht sie noch weniger und schaut irritiert. Bevor sie den Psychiater rufen, dränge ich zum Bestellen. Das Essen ist lecker. Nur mein Schatz hat ein Fleischgericht in Puppenstubengröße bekommen. Ich teile meine dampfende Alupfanne im dekorativen Baumstamm. Zum Nachtisch erhalten wir geeiste Maroni und kandierte Früchte in Zuckerwatte. Ein echtes Erlebnis.
Frohe Ostern. Viel zu früh. Sechs Uhr. Ich robbe mich in den Reisebus. Wir fragen Frau Nie, wie man denn ein Hundebellen auf chinesisch machen kann. Der Groschen fällt. Ein chinesischer Hund macht nicht “wau” sondern “wangwang“. Möchte nicht wissen, was der Kellner gestern von uns gedacht hat. Der Geißenpeter verteilt jedem einen kleinen Schoko-Osterhasen, sehr nett. Lange Fahrt zur chinesischen Mauer bei Badaling, 84 km nördlich von Peking. Temperatur um den Gefrierpunkt. Ernüchternder Ausblick: man sieht die Hand vor Augen nicht. Dicke Nebelschwaden umhüllen die Mauerstücke und lassen sie in sich verschwinden. Man sieht die chinesische Mauer vom Mond aus und ich stehe auf ihr und sehe nichts. Wir erklimmen noch einige Höhenmeter. Die Mauer steigt steil an, das geht ganz schön in die Beine. Langsam vorwärts, man sieht immer nur einen knappen Meter weit. Nach einer Stunde geben wir auf. Der Nebel ist undurchdringlich. Heute werden wir sie nicht zu Gesicht bekommen. Wir müssen wohl ein anderes Mal erneut den Versuch wagen.
Wir gönnen uns einen Kaffee in einem Lokal und blättern einen Bildband mit den schönsten Aufnahmen der Mauer durch. Es muss atemberaubend sein, diesen Anblick zu sehen, wie sich die Mauer kilometerlang durch die Berge schlängelt. Uns bleibt heute jedoch nur der chinesische Nebel. Zurück in den Bus. Wir sind durchgefroren. NRW sagt: “Jetzt noch so ein schöner kleiner Puff, das wäre doch was!” Handwärmer mit vier Buchstaben – Puff?? Wir biegen uns vor Lachen. Next stop Vasenmanufaktur. In mühseliger Kleinarbeit werden die edlen Stücke gefertigt. Man kann jeden Arbeitsgang begutachten. Für jeden goldenen Rand auf den Vasen wird das Muster mit einem dünnen Metallband vorgegeben. Dann die Zwischenräume einzeln mit Hand bunt ausgemalt.
Wir essen zu Mittag. Der Saal hat Außentemperatur. Das Essen ist ebenso kalt wie geschmacklos. Für die innere Hitze trinken wir einen Schnaps. Hilft leider auch nichts, aber das servierte Essen nimmt wenigstens durch diese Vorabdesinfektion etwas an Gefahrenpotenzial ab. Letzte Anweisung zum Koffer packen für den nächsten Tag. “Hallihallo, bitte alles mitnehmen, was ihnen nicht gehört und da bringen. Soo is daas.” Alles klar, Frau Nie. Besuch der Ming Gräber. Wir besichtigen auf dem großen Areal nur das größte und schönste Grab. Wir werfen einen Yuán für ein langes Leben an den Fuß der Statue.
Trotz eisigen Temperaturen wandern wir den Seelenweg vor den Ming Gräbern. Hier stehen 36 Steinfiguren majestätisch am Wegesrand. Wir entdecken Elefanten, Drachen und Generäle. Frau Nie erklärt uns das Symbol der Ehre und Schönheit: Den dicken Beamtenbauch.
Neun Uhr Abfahrt mit gepackten Koffern. Die Sonne lacht. “Hallihallo. Wieder hier da. Wetter heute sön, immer umbeständlich, daas is soo ja” laut Frau Nie. Wir besichtigen den Lama Tempel, wunderschön. Hier kommen die Menschen zum beten her. Sie kaufen große bunte Räucherstäbchen, halten diese kniend vor die Stirn und legen sie nach dem Gebet auf dem Altar ab.
Titisee schleicht sich ran und lässt ein goldenes Stäbchen unter ihrem Ärmel verschwinden. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe. Weiter geht es zum zweitgrößten Tempel des Philosophen Konfuzius. Auf dem Weg entdecke ich ein Bruchstück dessen, wovor ich mich bei dieser Reise gefürchtet habe. Ein kleiner Hoppelhase sitzt in einem Karton, nur mit ein paar Scheiben Möhren, ohne Wasser und in seinem eigenen Dreck. Auch das ist China. In starkem Kontrast dazu wirkt der Konfuzius Tempel. Konfuzius strebte den moralisch einwandfreien Menschen an. Dies wollte er durch Bildung erreichen.
Berühmt wurde er allerdings erst nach seinem Tode durch seine Schüler, die seine Werke verbreiteten. Wirklich beeindruckend erstreckt sich die Tempelanlage in die Höhe. Wir bleiben eine gute Stunde und fahren dann mit dem Bus weiter. Um uns zu entspannen, besuchen wir eine Tee-Zeremonie. Die Kanne wird mit kochendem Wasser übergossen, um die Innen- und Außentemperatur anzugleichen, eine kleine Kugel wird in die nächste Glaskaraffe gefüllt, die im Wasser wie ein Blumengesteck aufgeht. Wir lauschen den Ausführungen und testen fünf Sorten durch. Den leckersten Fruchtzauber erstehen wir in einer zauberhaften Dose. Günstig ist anders.
Zurück zum Bus, wir fahren an einen See, dort kann man “sehr gut wandeln, daas is soo”, sagt Frau Nie. Es stimmt, wir wandeln bei Sonnenschein. Wir gehen durch enge Gässchen, es reihen sich kleine Läden aneinander. Wir sehen ein Brautpaar. Eher angestrengt dreinblickend als glücklich. Auf dem Rücken sehe ich, wie man das Brautkleid für sie passend gemacht hat. Mit Gummibändern und Sicherheitsnadeln.
Ich begutachte gerade eine Teetasse, als meine knipsende Fotofreundin in den Laden gestürmt kommt und die Verkäuferin auf eigenartigem Englisch anklagt:”You have my Foto! Give him back!” Die arme Chinesin ist wie erstarrt vor Schreck und versteht nicht, was los ist. Ich hake bei der hysterischen Anklägerin nach. Ihre Kamera ist verschwunden. Als ich ihre beiden Rucksäcke (einer hinten, einer vorne), die Bauchtasche, den Brustbeutel, die Handtasche und die 2 Plastik Tragetaschen sehe, mit denen sie ausgestattet ist, ist mir schnell klar, dass die Kamera sich vermutlich in einen dieser Tragemöglichkeiten befindet. Doch sie lässt sich nicht beruhigen und beschimpft weiter die Verkäuferin. Ich rede lauter auf sie ein, sie ignoriert mich. Ich nehme ihre erste Tasche und öffne sie. Oben auf liegt die Kamera. Ich zeige sie ihr. Wortlos nimmt sie die Kamera in die Hand, verstaut sie im Bauchgurt und stürmt ohne Entschuldigung oder Danke aus dem Laden. Ich lächle die Verkäuferin an und kaufe zur Entschädigung eine Tasse. Frau Nie wartet bereits am Bus. “Abfahrt fünf Uhr halb, hallihallo”. Langsam werden wir hungrig, unser Abschiedsessen naht. Ente essen. Allerdings nicht besonders lecker, eher eigenartige salzige Knochenteile und andere weniger schöne Inhalte reihen sich vor uns auf. Ich lasse auch den explodierten Fisch stehen und werde zum temporären Vegetarier. Das war kein gelungenes Essen, hätten wir doch lieber einen erneuten Besuch im DaDong gemacht.
Dann große Verabschiedung, nicht alle fahren mit dem Nachtzug weiter, viele fliegen morgen nach Frankfurt zurück. Wir tauschen Nummern aus und verabreden uns zum Chinesisch essen gehen zu Hause. Ein klein wenig wehmütig blicken wir der Truppe hinterher, wir hatten doch sehr viel zu lachen in der Kuhgruppe, mal schauen wie die Fische so drauf sind. Tickets für den Zug werden verteilt. Plätze im Liegeabteil werden wahllos vergeben. Wir sollen uns zueinander tauschen, da weder Paare noch Geschwister noch Freunde ihr Bett im gleichen Wagon haben. Tochter Flüsterfuchs ergreift die Initiative und versucht die Gruppe zu ordnen. Boykott durch die rothaarige Foto-Verlier-Lady, welche sofort motzig mitteilt, dass sie sich auf solch einen Mist nicht einließe. Eine Mitreisende fragt, ob sie ihre Karte mit deren Karte tauschen würde. Mylady verneint “nee, das sehe isch doch gar nischt ein. Wieso sollte isch?” Andere mischen sich in das Gespräch ein, es eskaliert plötzlich um mich herum. Lauter Wortwechsel folgt. Dann verschwindet Mylady und kommt mit einer anderen Karte zurück. Sie zeigt sie mir und sagt, “so jetzt hab isch doch getauscht”. Es stellt sich raus, dass diese Mylady natürlich auch noch mit mir im Abteil ist. Ich frage, ob sie ihre Karte mit mir tauschen würde, damit mein Schatz und ich im gleichen Abteil schlafen könnten, da wir auch Zahnpasta und alles nur gemeinsam mitgebracht hätten. Mylady wendet sich ab mit den Worten “selbst schuld, wenn man so blöde ist und zu zweit reist”. Gemeinschaft wird auf dieser Gruppenreise echt groß geschrieben. Wieso fährt solche eine Egomanin nicht einfach alleine in den Urlaub? Der Bahnhof ist schön. Wir stellen uns ordentlich an und werden nach 4-facher Kontrolle endlich in den Zug gelassen. Erste Klasse hatte ich mir anders vorgestellt.
Das Bett hat keine wirkliche Matratze, sondern ist einfach ein Eisengestell mit einem dünnen Stoffbezug. Es hat bereits jetzt gefühlte Saunatemperatur. Vier Menschen passen in den Wagon, unsere Koffer allerdings nicht. Wir müssen sie in den Gang stellen. Raum verlassen bis zum Ausstieg kaum noch möglich. Eine nette Mitreisende bietet sich dann zum Tauschen an. Im Abteil angekommen, beziehen eine ältere Dame und ich die unteren Stockbetten. Ich verstaue den Koffer der Dame und helfe ihr aufs Bett. Mylady jammert. Sie kann oben nicht schlafen. Da fühlt sie sich nicht wohl. Es ist so beengend oben. Ich überlege, wen sie wohl fragen wird. Für wen entscheidet sich ihr skrupelloses Gewissen? Soll die alte Dame mit ihren 70 Jahren für sie nach oben klettern oder wird sie nach der Abfuhr mit mir tatsächlich die Dreistigkeit aufbringen, meine Platz hintauschen zu wollen? Tatsache, sie fragt mich. Ich reagiere nicht und packe meine Schlafsachen aus. Sie fragt erneut, aber ich sage, dass ich auch lieber unten schlafe. Eigentlich ist es mir egal. Aber manchmal geht es halt eben doch nur ums Prinzip. Mylady kommt die Stiege nicht nach oben und jammert weiter. Ich kann leider nichts hören. Das Gejammer wird massiver. Es hilft ihr nichts. 15 Minuten später ist sie endlich oben irgendwie reingeklettert. Ich strecke mich zufrieden unten aus. Doch es wird mir nicht lange gegönnt, denn es folgen acht schlaflose Stunden, in denen die obige Schläferin die chinesische Mauer zum Beben bringt. Wie kann eine Frau nur so schnarchen? Zwischendrin rotzt, niest und hustet sie in den Gang. Ich stehe auf und überlege, sie mit einem Kissen zu verprügeln. Mein ebenfalls wachliegender Mann hält mich davon ab. 800 km von Peking entfernt, erreichen wir Luoyang. Um kurz nach sechs packen wir unsere sieben Sachen, spritzen uns etwas frisches Wasser auf die dicken Augenlider und blicken uns gerädert an. Wir haben beide keine Sekunde geschlafen. Mylady Schnarchly streckt sich und jammert: “ich habe kein Auge zugetan!” Ich überlege, sie mit meiner Zahnbürste zu bewerfen. Mein Mann hilft allen, die Koffer aus dem Zug zu hieven. Es geht los. Mylady wird in alter Foto-Verlust-Manier wieder hektisch und rennt zurück ins Zugabteil. Der Ausweis ist weg. Das wäre doch was, schießt es mir für eine Sekunde durch den Kopf. Sie lässt meinen Schatz mit ihrem Gepäck wartend am Steig zurück. Ich sehe sie durch die Fenster im Zug rumrennen und die Schaffner anpöbeln. Dann kommt sie wieder heraus und kramt wild in einer ihrer mittlerweile noch zahlenmäßig angestiegenen Taschen. Erneutes Rennen in den Zug. Ich kann unsere Gruppe mittlerweile nicht mehr sehen, aber die zweite Reiseleiterin ist bei uns geblieben. Dieses Spiel wiederholt sich noch ein paar mal bis sie endlich einen Versuch wagt, in einer ihrer Umhängeutensilien zu kramen und mal wieder in ihrer vollgestopften Krimskrams Tasche das fehlende Stück wieder findet. Wie überraschend. Im Anschluss drückt sie wortlos der neuen Reiseleitung Frau Fan einige ihrer Tüten in die Hand und rennt mit dem Koffer nach vorne an die Spitze der Gruppe. Wir bleiben bedeppert stehen. Die Koffer passen nicht in den Bus und müssen ins Innere mit rein genommen werden. Mylady hat vier der ersten Sitze für sich und ihre Taschenfreunde belegt. Wir fahren in ein schönes Hotel und frühstücken ausgiebig. Im Eingangsbereich stehen überdimensionale geschnitzte Holzstühle. Wir nehmen Platz und lassen uns fotografieren. Mylady ruft: “hallo – Foto von mir machen”. Keiner reagiert. Mylady spricht eine Dame an, die sie beim Platztausch im Zug angepöbelt hat. “Los jetzt, hallohallo.” Die Dame reagiert nicht und geht weg. Dann schiebt mir Mylady die Kamera in meinen Bauch. Ich drücke mich mit Nichtachtung daran vorbei. Mylady brummt genervt, jetzt ist mein Mann fällig: “Hallo. Hallo. Sie da. Ich kenne ihren Namen nicht. Ich will ein Foto jetzt.” Er lässt sich bereden und drückt ab. “Nochmal. Ich will es aber quer.” Ich hoffe, dass er auf dem Bild wenigstens ein klein wenig den Kopf abgeschnitten hat. Wir fahren in ein Shaolin Kloster.
Frau Fan erzählt von der diesjährigen “Überschwimmung” des Flusses. Wir steigen aus. “Draußen bisschen warm, besser Jacke”. Wir sind auf einigen Höhenmetern, aber die Luft ist deutlich besser als in Peking, wenngleich auch ähnlich trübe. Als wir uns am oberen Platz sammeln, sehe ich nur noch von hinten, wie einer unserer großen Männer in sich zusammen sackt. Sein Gesicht wird blau und die Augen sind wie weggetreten. Er verliert das Bewusstsein. Blitzschnell reagiert die Gruppe, bringt ihn in die stabile Seitenlage und legt die Beine etwas hoch. Passanten fragen, ob sie einen Arzt rufen sollen, wir nicken nervös. Alle sind sprachlos und haben große Sorge. Wir schirmen den am Boden Liegenden von der gaffenden Zuschauermenge ab. Eine Frau, die mit Kochtopf und Löffel mampfend einen Blick erhaschen will, ist kaum wegzubekommen. Endlich, der Krankenwagen ist da und nimmt ihn mit. Die Gruppe läuft in sich gekehrt weiter zum Shaolin Kloster. Alle sind bedrückt, der Vorfall liegt wie ein schwerer Vorhang auf allen Gemütern. Wir sehen junge Kinder Kung Fu trainieren, es erinnert an die typischen Kinofilme.
Ich sehe sogar die Baumstämme, auf denen die amerikanischen Schauspieler immer ihre Kranich-Übungen als Wettkampfvorbereitung geübt haben. Wir erfahren, dass tatsächlich viele dieser Hollywood Streifen hier gedreht wurden. Auch hier sind die Tempelanlagen wieder mit unzähligen Symbolen versehen. Drachen, Schildkrötenpanzer, Buddhas und Lotusblüten. Auf jene muss man 7 mal treten, um ein erfülltes langes Leben zu haben. Auch den Schildkrötenpanzer streichle ich, wie so viele vor mir auch, er ist schon richtig abgenutzt.
Wir beobachten die Mönche beim Kung Fu Training, andere beten oder singen. Ich hatte mir diesen Ort besinnlicher und stiller vorgestellt, aber auch hier hat der Massentourismus Einzug erhalten. Teilweise sitzen die Mönche mit ihren Handys in den Gebetsräumen und spielen. Das Team aus NRW schließt sich im Raum der guten Hoffnung den örtlichen Gepflogenheiten an und wünscht dem Krankenhauspatienten im Stillen schnelle Genesung. Eine knappe Stunde später die erlösende SMS seiner Frau. Er ist wohlauf! Es war wirklich nur der Kreislauf, der ihm einen Streich gespielt hat. Wir werden ihn auf unserem Rückweg einsammeln. Die Gruppe atmet auf. Fröhlichkeit kehrt wieder ein. Der Schleier aus Sorge ist verschwunden. Der Dämon hat uns verschont. Gut, dass hier überall hohe Schwellen an den Türen sind. Wir besichtigen den Pagodenwald.
Eine Grabstätte der ehrbarsten Äbte und Mönche der Shaolin. Die Anzahl der Pagoden gibt Hinweis auf die Gelehrtheit des Verstorbenen, die maximale Weisheit ist mit 7 und knappen 15 Metern Höhe erreicht. Auf jeder Pagode sind die Kenntnisse der jeweiligen Zeitdekade festgehalten. Kalligraphie, geschichtliche Ereignisse… Auf dem neuesten Grab aus dem Jahr um die Zweitausendwende findet sich ein Computer und ähnliches. Es ist das Zeitalter der technischen Neuerungen. Wir besuchen eine Kung Fu Show. Hier wird nicht das echte Kung Fu, sondern eine artistische Show-Variante vorgeführt.
Ich bin trotzdem beeindruckt, wie die kleinen Jungs ihre Gliedmaßen bewegen und biegen können. Auf dem Rückweg am Abend entdecken wir die vielen Jugendlichen, die noch immer fleißig am Trainieren sind. Wir hören ihre rythmischen Schreie und folgend ihren synchronen Bewegungen. Hier wird jungen Schülern einiges an Disziplin abverlangt, auf dem langen Weg, ein Mönch zu werden. Auf dem Rückweg sammeln wir unseren Patienten ein. Er lacht wieder. Wir empfangen ihn mit Beifall im Bus. Wir sind alle erleichtert, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Ni hao. Hast du schon gegessen? In China fragt man dies, wie bei uns die Frage nach dem Wohlbefinden. Es stammt noch aus früheren Zeiten, in denen das Essen knapp war. Es gibt auch Formen von: Hallo. Lebt deine Familie noch? (Hauptsächlich zu Kriegszeiten) Oder die neumodische Variante in den Städten mit unglaublich hohen Scheidungsraten (es gibt deutliche Steuervorteile bei Scheidung): Hallo. Bist du schon geschieden?
Wir haben noch nicht gegessen. Also geht es uns noch nicht sehr gut. Wir warten mit einem Herren am Aufzug, um zum Frühstücksaal zu gelangen. Die Türe öffnet sich. Mylady!!! Welche Überraschung hältst du heute für uns bereit? Sie steht mit ihrem Koffer vorne an der Türe und verweigert den Zugang. Der Herr vor uns versucht einzusteigen. Mylady bleibt hartnäckig stehen: “Wir fahren jetzt runter. Gehen sie raus.” Wir nehmen den nächsten. Das Frühstück war ok, mittlerweile hat man sich an die Sojasoßen-Nudeln gewöhnt und isst bereits morgens herzhaft. Wir fahren zu den Longmen Grotten. In der Felswand befinden sich über 2000 Nischen mit Gedenksteinen und Buddhafiguren.
Wir erklimmen die steilen Stufen und besichtigen von außen die größten Höhlen. Leider wurden bei der Kulturrevolution viele dieser wunderschönen Steinskulpturen beschädigt oder teilweise sogar ganz zerstört. Abgebrochene Köpfe und abgeschlagene Arme zeigen noch den Kampf dieser Epoche auf. Wir sehen hunderte von 2 cm kleinen Buddhas eng aneinander gereiht in einer Grotte oder eine riesige Steinfigur mit fast unglaublichen 15 Meter Höhe, die mittig neben anderen thront.
Nach einer guten Stunde bummeln wir am Rande des Flusses gemütlich zurück zum Bus, ein paar Gruppenmitglieder fahren mit einem chinesisch anmutenden Boot die 2 Kilometer zurück. Wir verlassen Luoyang und werden zum Bahnhof gebracht. Dort fahren wir mit dem Hochgeschwindigkeitszug in die Stadt Xi´an. Wir sehen die Schnellschuss-Hose das erste Mal live in Aktion. Das Kind in der Reihe hinter uns setzt sich auf den Zugboden und pullert einfach los. Keiner schenkt dem Geschehnis Beachtung. Wir heben unsere Füße an, um nicht in der nach vorne fließenden Pfütze zu stehen. China, China. Du bist wirklich sonderbar. Wunderbar geschlafen, das Hotel ist toll. Leckeres Frühstück, es bleiben keine Wünsche offen und so gut gestärkt sind wir bereit für die bevorstehende Besichtigung der Terrakotta Armee. Es ist chinesischer Feiertag, die Straßen sind überfüllt. Unser Busfahrer kämpft sich durch. Selbst umdrehende Geisterfahrer auf den Autobahnen sind normal. Hier gilt – der Mutigere hat Vorfahrt.
In den Ausgrabungshallen ist viel los, aber wir haben bereits gelernt uns chinesisch anzustellen. Einfach Reindrücken und bis nach vorne durchschieben. Ich bewundere die perfekt ausgearbeiteten Krieger. Ein Chinese neben mir spukt in den Graben. Sitte hin oder her. Das geht wirklich gar nicht. Die Armee stellt eine Grabbeigabe für den ersten chinesischen Kaiser dar, es ist ein Mausoleum. Es ist beeindruckend. In drei Ausgrabungshallen können wir die Arbeit der Archäologen beobachten. Noch tausende von Kriegern gilt es auszugraben. Jede Scherbe wird in ihrer aufgefundenen Position vermerkt und wie ein Puzzle wird jeder Krieger wieder zusammengebaut. Leider sind alle Farben verblasst beim Ausgraben durch die Reaktion mit Luft.
Chinesische Wissenschaftler konnten erst im Jahr 2004 in Kooperation mit Forschern aus Bayern eine Möglichkeit entdecken, sie rekonstruierbar bzw. haltbarer zu machen. Der chinesische Bauer, der in den 70er Jahren diese Armee entdeckt hat, weil er beim Graben eines Brunnens darauf gestoßen ist, sitzt auch im Museum und signiert die zu kaufenden Bücher. Wir erfahren, dass er ungefähr 20 Cent für den Fund dieser Armee erhalten hat. Jeder der Krieger sieht anders aus, kein Gesicht, keine Körperhaltung findet sich zweimal. Wir sehen uns in einem Rundkino einen Film über die Entstehung, den Fund und die Ausgrabung an. Ich betrachte den einzigen noch leicht farbigen Krieger im Glaskasten aus der Nähe. Man sieht alles. Jedes Haar, jedes Muster seiner Kleidung, selbst die Sohle seiner Schuhe ist mit Millimeter kleinen Mustern versehen.
Nach diesen beeindruckenden Bildern begeben wir uns entspannt und gut gelaunt zurück zum Bus, gerade noch rechtzeitig, denn Regen setzt ein. Wir fahren zu der Stadtmauer von Xi´an. Wunderbare klassische Musik klingt aus den Lautsprechern und schafft eine bezaubernde Atmosphäre. Wenn nur der Regen nicht wäre. Die Stadtmauer war der Ausgangspunkt der Seidenstraße. Sie ist mit fast 14 km die längste und am besten erhaltene Mauer Chinas. Die Stadtmauer wurde in den 80er Jahren renoviert und hat vier Tore. Morgens wurde beim einem Signal des Glockenturms die Zugbrücke hinunter gelassen und abends beim Ertönen des Trommelschlags vom Trommelturm wieder hinaufgezogen. Man kann sich Fahrräder mieten und die Mauer entlang radeln.
Leider vermiest uns das nasse Grau die Spazierlaune und wir finden uns nach einer knappen halben Stunde wieder im Bus ein. Ausgehungert stürzen wir uns in unserem neuen schicken Hotel auf das leckere Buffet. Danach noch ein Gutenacht Bier an der Bar und gehen auf unser Zimmer. In unserem Hotelflur stehen alle Türen offen. Jeder Chinese sitzt in Unterhosen am Tisch oder die Kinder spielen im Gang und die Lautstärke erinnert an eine Kirmes. Um ein Uhr nachts kehrt endlich Ruhe ein. Endlich. Auch China muss mal schlafen. Abreise Tag. Wir sammeln uns in der Lobby. Ein paar unterhalten sich über einen mir unbekannten Flug-See, den kommenden “Jet Lake”. Ich muss schmunzeln. Die Koffer werden abgeholt, allgemeines Misstrauen, wo diese wohl hingehen. Ob China wohl eine Mafia hat, die mit dreckiger Wäsche handelt? Schutzlos sind wir ihr ausgeliefert und geben die Koffer in die Hände des Hotelpersonals… Wir machen uns auf zur Wildgans Pagode, einem buddhistischen Tempel.
Hier leben nur noch wenige Mönche. Der Tempel hat eine schöne, aber auch traurige Geschichte. Wir erfahren von der großen Liebe eines Kaisers zu seiner Konkubine. Diese Liebe wurde irgendwann durch die Forderung der Hinrichtung der kaiserlichen Geliebten besiegelt. Bei der Rückkehr schnappen wir uns eine Schokosünde bei Dunkin` Donut. Wir fahren weiter zu einer Jade Schleiferei. Jade wurde den Toten auf die Öffnungen wie Augen oder Ohren gelegt, damit die Seele nicht entweichen kann. Es gibt weiche Jade vom Berg, die harte stammt aus dem Flussbett. Als ich die Schmuckstücke in der Auslage begutachte, sehe ich ein vertrautes Gesicht. Die Eltern meines Mitschülers aus der Grundschule kreuzen meinen Weg. Diese Welt ist wirklich ein Dorf. Wir machen ein Beweisfoto, ich freue mich auf das Gesicht meiner Eltern, wenn sie dieses Foto sehen und ihre Nachbarn darauf erkennen. Gekauft haben nicht viele, nur Mylady gibt wieder eine sehr intelligente Aussage von sich: “Isch kauf jetzt hier irgendwas, isch han keine Lust, das ganze schwere Geld wieder mit nach Hause zu schleppen.” Wir besichtigen eine wunderschöne muslimische Moschee und quetschen uns über den Markt.
Leckere Essensstände reihen sich aneinander. Gegrilltes Fleisch, Eier am Stiel, Nüsse, getrocknete Früchte, verschiedenste Datteln und allerlei für uns undefinierbare Sachen. Wir haben Lust etwas zu probieren.
Da wir aber kurz vor dem Heimflug stehen und die Board Toilette mit anderen Flugpassagieren teilen müssen, trauen wir uns nicht an diese Experimente. Trotz der einladenen Leckereien sehen wir auch hier wieder die andere Seite der leckeren Essenswelt. Mülleimer quellen über und die Straßen liegen voll mit Spießen und Servietten. Wir kaufen einen dieser praktischen Tee-Behälter, die hier jeder mit sich trägt und feilschen wie die Weltmeister. Unsere Verkäuferin hat genug Touristen gesehen. Sie weiß, dass wir es eh kaufen, wenn wir es wollen und geht beim zweiten Preis bereits nicht weiter runter. Aber immer noch günstig. Wir freuen uns. Letzter Programmpunkt: Teigtaschen essen. Eine Spezialität aus Xian. Lauter kleine Teigtaschen in unterschiedlichster Ausführung, immer bildhaft für ihren Inhalt, grüne Blätter mit Sellerie, kleine Shrimps gefüllt mit Meeresbewohnern, braune Walnüsse, kleine Enten…das Essen wäre total nett, könnte man die unglaublichen Kommentare am eigenen Touristentisch ausblenden…
– Also wie soll ich jetzt was essen wenn ich nachher fliegen muss? (aktuelle Uhrzeit 16 Uhr -Abflug 2 Uhr nachts) Das ist doch total schlecht organisiert.
– Oh man, die am Nebentisch haben Pommes, warum kriegen wir so etwas nicht?
– Warum gibt es nichts Normales zu essen?
– Heute wäre es mir eher nach Reis.
– Da sieht man ja gar nicht, was da drin ist.
Es wird Zeit, dass wir die Heimreise antreten, blinzeln mein Schatz und ich uns an und nehmen uns noch ein paar Teigtäschlein als Nachschlag. Transfer zum Flughafen. Eisige Temperaturen. Wir müssen einige Stunden warten und sind beim Besteigen des Flugzeugs völlig durchgefroren. Als wir uns in den Sitz fallen lassen, bemerken wir erst, wie erschöpft wir eigentlich sind. Wir brauchen wohl erstmal Urlaub, scherze ich. Der Rückflug läuft problemfrei. Am Flughafen verabschieden wir uns von den restlichen Gruppenmitgliedern. Diverse Einladungen werden ausgesprochen und noch ein paar Kontaktdaten ausgetauscht. Zuhause angekommen, genießen wir gemeinsam ein ausgiebiges Frühstück, endlich wieder ohne Nudeln. Ich nehme eine heiße Dusche und lasse innerlich die Reise Revue passieren. Ganz unterm Strich, haben wir doch einige nette Menschen auf dieser für mich ungewöhnlichen Gruppenreise kennengelernt. Wir haben sehr viel gesehen und mussten uns um nichts kümmern, außer um uns selbst. Eigentlich war es echt ok. Eigentlich … Wir packen unsere Sachen aus, stellen die mitgebrachten Souvenirs auf die Kommode und ich starte die erste Waschmaschine. Mein Schatz schnappt sich die Koffer und bringt sie zurück auf den Dachboden. “Stell sie ganz nach hinten”, denke ich mir. “Wir werden sie vorerst nicht wieder brauchen …”

